Von Dr. Marc Surminski
Was bringt das neue Jahr für die Versicherungswirtschaft? Inflation, Ukraine-Krieg, Energiekrise und Rezessionsangst werden auch 2023 zu einem Jahr der existenziellen Bewährungsproben machen – und das alles natürlich weiter vor dem Hintergrund der grundlegenden Herausforderungen durch die digitale Transformation, die jeder Versicherer meistern muss.
Ein anderer Aspekt tritt angesichts dieser Fülle an externen und internen Problemen allerdings aktuell häufig in den Hintergrund: Es ist die Frage, inwieweit die Versicherungwirtschaft angesichts einer sich rasant wandelnden Welt mit ihren Produkten und Dienstleistungen auch noch in Zukunft relevant bleiben kann. Hier entscheidet sich letztlich die Zukunft der Assekuranz.
Ganz konkret sind 2023 politische Weichenstellungen für die größte Sparte zu erwarten: Die Bundesregierung geht endlich die Reform der geförderten Altersvorsorge an. Dabei steht die Rolle der Lebensversicherer als bisherige Nummer Eins der Altersvorsorge auf dem Spiel. Sollte sich die deutsche Politik für ein staatliches Aktienfondsmodell wie in Schweden entscheiden, könnten die Lebensversicherer zumindest bei der geförderten Vorsorge in der Nachfolge von Riester das Nachsehen haben. Mit ihren klassischen und modernen Rentenprodukten wären sie dann gegenüber einem kostengünstigen Standardmodell für das Fondsparen aus dem Spiel.
Um bei der künftig unbedingt nötigen Ausweitung der zusätzlichen Altersvorsorge relevant zu bleiben und an dem stark steigenden Geschäftsvolumen zu partizipieren, wird sich die Branche bewegen und eigene Angebote machen müssen. Hier wäre an renditestarke Standardprodukte zu denken, die auch digital abgeschlossen werden können, und zwar im Zweifelsfall ohne Abschlussvergütung. Das ist bislang ein Tabuthema für eine Branche, die pro Jahr rd. 8 Mrd. Euro für Abschlusskosten aufwendet. Wenn es politisch in Berlin zum Schwur kommt, werden die Lebensversicherer sich hier aber bewegen müssen. Das neue GDV-Konzept für eine „Bürgerrente“ ist ein erster Schritt in diese Richtung.
Insofern dürfte 2023 auch vor dem Hintergrund eines weiteren starken Rückgangs bei den bislang dominierenden Einmalbeiträgen im Neugeschäft zu einem sehr schwierigen Jahr für die Lebensversicherer werden – und zwar ganz unabhängig davon, ob angesichts von rekordhohen Inflationsraten den Kunden weiter eher sicherheitsorientierte Produkte als gute Lösung für die Altersvorsorge verkauft werden können.
Ebenso dringlich stellt sich die Frage nach der Relevanz der Versicherungwirtschaft angesichts von neueren Risiken, die heute die Kunden umtreiben: Cyber-Attacken sind zu einer zentralen Bedrohung der Wirtschaft geworden. Als Reaktion auf die immer zahlreicheren Schadenfälle wurden in letzter Zeit von den Versicherern aber die Deckung reduziert und die Bedingungen verschärft. Bei vielen Unternehmen entsteht der Eindruck, dass die Versicherer keine Lösungen für die neuen digitalen Herausforderungen haben. Das gilt auch für die Frage, wie man künftig Innnovationen und digitales Know-how versichern kann. Wenn Versicherer nur dann zahlen, wenn ein physischer Schaden vorliegt, bleibt ein erheblicher Teil der modernen Welt unversichert.
Versicherer, so das Gefühl vieler Kunden, scheuen unter dem Diktat von Aktuaren und Analysten zunehmend neue Risiken. Für Kerntechniken der klimafreundlichen Transformation der Wirtschaft, etwa Anlagen zur Herstellung von grünem Wasserstoff, gibt es nur schwer Deckung – weil noch keine Erfahrungen mit diesen Risiken vorliegen. Versicherer verlieren deshalb schon seit einiger Zeit an Bedeutung bei der Übernahme von Risiken, wie ein Blick in die USA zeigt: So lagen die versicherten Risiken in der Schaden- und Unfallversicherung 1970 nach Angaben von Aon bei rd. 2% des US-Bruttoinlandsprodukts. Ende der 1980er Jahre war der Wert auf knapp 3% gestiegen. Seither fiel er zurück auf aktuell unter 2%. Es geht offenbar auch mit weniger Versicherungsschutz.
Auch in einem alten Kerngeschäft der Versicherungswirtschaft droht 2023 ein zunehmender Relevanzverlust. Kfz-Hersteller wie Tesla sehen in Autos Datensammelstellen für alle möglichen Services – auch für eine neue Form der Kfz-Versicherung. Mit dem Zugriff auf die massenhaft anfallenden Fahrdaten kann Tesla seine Policen über eine eigene Versicherung konkurrenzlos günstig kalkulieren, und die traditionellen Autoversicherer haben das Nachsehen. Sollte das Beispiel Schule machen und auch andere Hersteller die Daten aus ihren Fahrzeugen entsprechend umfassend nutzen, würde die größte Sach-Sparte stark unter Druck geraten. Nur wenn die Kfz-Versicherer es schaffen, mit eigenen Telematiksystemen der Konkurrenz Paroli zu bieten und die Policen ähnlich individuell zu kalkulieren wie die Hersteller, werden sie sich behaupten können.
Auch das Thema Ökosysteme hat das Potential, die künftige Bedeutung der Versicherungswirtschaft in Frage zu stellen. Hier ist offen, welche Rolle die vielen Versicherer aus dem immer noch stark zersplitterten deutschen Markt in diesen Systemen spielen können. Ist es eine realistische Option, dass Versicherer solche Systeme etwa im Bereich Mobilität dominieren können? Oder bleiben am Ende einige wenige Gesellschaften als reine Zulieferer von Policen für ein Geschäftsmodell übrig, das von Anderen beherrscht wird?
Und wenn man sieht, dass sich ein Digital-Gigant wie Amazon zunehmend im Versicherungsbereich engagiert, stellt sich darüber hinaus noch die Frage, ob die Versicherer bei dem Stand ihrer Digitalisierung überhaupt in der Lage wären, einer solchen Konkurrenz bei der Organisation des Geschäftes Paroli bieten zu können. Weiter für die zunehmend digitalisierten Kunden wichtig zu bleiben heißt eben auch, als Versicherer eine ähnliche Servicequalität anbieten zu können wie Amazon und Co.
Für die Versicherer gilt im neuen Jahr verstärkt, ihre Relevanz für die Kunden (und auch die Politik) in ganz unterschiedlichen Bereichen zu behaupten. Angesichts der krisenhaften Umstände, die auch 2023 prägen dürften und die von den Gesellschaften gemeistert werden müssen, ist das eine gewaltige Aufgabe für die Branche. Das Leben war auch schon mal einfacher für die Versicherungswirtschaft.
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