Gastbeitrag: Digitalisierung in der Rückversicherung: Potenzial für Veränderungen?

Von Dr. Marc Surminski

Von der großen digitalen Transformation, die weite Teile der Versicherungswirtschaft erfasst hat, sind die Rückversicherer bisher deutlich weniger betroffen. Das heißt nicht, dass sie ihre digitalen Hausaufgaben in den letzten Jahren nicht gemacht hätten. Viele Anbieter haben ihre IT-Systeme modernisiert. Große Player wie Munich Re und Swiss Re arbeiten mit Insurtechs aus aller Welt zusammen – auf der Suche nach neuen Kunden und neuen Geschäftsmodellen. Gerade im Bereich Datalytics, traditionell eine der Stärken vieler Rückversicherer, wenn es darum geht, komplexe Marktdaten für die Erstversicherer aufzubereiten, gehören viele Anbieter zur Spitze der Assekuranz.
Im Kern hat sich das Rückversicherungsgeschäft aber bislang weniger verändert als viele Massensparten in der Erstversicherung. Rückversicherung ist bis heute ein „People’s Business“, bei dem Experten in persönlichem Austausch mit Experten der anderen Seite Verträge abschließen – unterstützt dabei von den Experten der Maklerseite. Rückversicherung bleibt ein „Nasengeschäft“, bei dem oft die jahrzehntelange persönliche Bekanntschaft mit den Geschäftspartnern das zentrale Fundament gerade für die langfristigen Kundenbeziehungen ist, wie sie den deutschen Markt noch immer prägen.

Gescheiterte Versuche

Ähnlich wie die Industrieversicherung ist die Rückversicherung bislang gegenüber neuen Entwicklungen, die daran womöglich etwas ändern könnten, eher skeptisch. So sind vor etlichen Jahren Versuche gescheitert, eine digitale Plattform für die Ausschreibung von Rückversicherungsdeckungen aufzubauen. Die hochkarätigen Experten etwa im Underwriting tun sich bis heute schwer damit, sich auf standardisierte Abläufe festlegen zu lassen. Nicht zuletzt fürchten manche Makler, dass ihre Alleinstellungsmerkmale bei der Rückversicherungsberatung dann in Gefahr geraten könnten. Transparenz ist in einem hochindividualisierten Geschäft immer eine Herausforderung – auch wenn es um den Wert der eigenen Leistung geht.
Mittlerweile ist allerdings auch der Druck auf das Rückversicherungsgeschäft gestiegen. Die Schadenlast vor allem aus Großschäden nimmt stark zu; Naturkatastrophen sorgen im Gefolge des Klimawandels mit erheblich steigender Intensität für Rekordschäden. Zwar hat der harte Markt der letzten Jahre mit den zum Teil kräftigen Prämiensteigerungen vielen Unternehmen wieder Luft zum Atmen gegeben. Aber Kapazität, auch im Retro-Markt zur Weitergabe der Risiken, ist weiterhin knapp und teuer.
Die Kostenseite rückt daher bei den Rückversicherern immer stärker in den Fokus, um einen Teil dieser Entwicklung abfedern zu können. Und hier ergeben sich interessante Ansatzpunkte für digitale Lösungen, die künftig das Geschäft der Rückversicherer verändern könnten. Das betrifft allerdings weniger das Underwriting bzw. den Abschluss von Rückversicherungsverträgen – anders als in der Erstversicherung, wo in Massensparten wie Kfz künftig immer mehr Policen direkt verkauft werden. Ein neuer vielversprechender Versuch mit einer digitalen Plattform für Rückversicherungsdeckungen ist momentan eher nicht in Sicht.

Komplexe Prozesse digital neu gestalten

Größer sind die Chancen auf neue digitale Lösungen aber bei Verwaltung der Verträge, bei der Schadenregulierung und bei der Kommunikation mit den Kunden. Gerade größere Rückversicherungsverträge mit mehreren Kapazitätsgebern und verschiedenen Deckungslayern sind eine extrem komplexe Angelegenheit, bei der im Zweifelsfall große Mengen an Daten und Dokumenten ausgetauscht werden müssen.
Das ist ein zentrales Problem der Rückversicherung: die kostenintensive Verwaltung von sehr komplexen Dokumenten, deren Bearbeitung bis heute vielfach noch mit hohem Aufwand betrieben werden muss. Viele Rückversicherer werden sich diesen Aufwand allerdings in Zukunft kaum noch leisten können. Das gilt nicht zuletzt für kleinere Gesellschaften, die bisher in Nischen erfolgreich waren.
Ohne mehr Automatisierung und Flexibilität wird es in der Rückversicherung nicht gehen. Das bedeutet zum einen natürlich, dass die Rückversicherer ihre internen Prozesse optimieren müssen. Beim Zusammenspiel mit anderen Marktteilnehmern ergibt sich aber für sie noch eine andere Herausforderung. Im Massengeschäft der Erstversicherung müssen die Gesellschaften „nur“ die Verbindung zu den Kunden und den Vermittlern optimieren – was im Maklervertrieb auch schon eine große Herausforderung ist, wie das Dauerprojekt BIPRO zeigt, mit dem marktweit einheitliche Schnittstellen geschaffen werden sollen.
In der Rückversicherung ist das Beziehungsgeflecht jedoch deutlich komplizierter. Es geht darum, das Miteinander von verschiedenen hochprofessionellen Marktteilnehmern zu optimieren, um Aufwand und Kosten zu senken: Erstversicherer, Rückversicherer, Makler, Retrokapazitätsgeber, ILS-Investoren – oft über den ganzen Globus verteilt – müssen digital zusammengebracht werden, damit die durch manuelle Prozesse und Bearbeitungsvorgänge entstehenden hohen Kosten sinken.

Wieviel Standards will der Markt?

Hier sollte es etwa darum gehen, den bisherigen Austausch von nicht strukturierten Abrechnungsdaten zwischen Erst- und Rückversicherern sowie das manuelle Einpflegen durch einen rein digitalen Transport und das automatisierte Mapping in strukturierte, standardisierte Daten zu ersetzen. Die große Frage bei der Digitalisierung der Rückversicherung bleibt aber, inwieweit der Markt künftig grundsätzlich bereit sein wird, anders als bisher allgemeine Standards auch zu akzeptieren.

Die traditionelle Individualität des Rückversicherungsgeschäftes zu erhalten und gleichzeitig die Möglichkeiten zur Standardisierung durch neue digitale Lösungen im Handling von Verträgen zu nutzen – das wäre eine Erfolgsformel für die weitere Digitalisierung der Rückversicherung. Das „Nasengeschäft“ beim Abschluss von Rückversicherungen bliebe dann weiter persönlich, aber die Abwicklung des Geschäftes würde einen großen Sprung in die digitale Zukunft machen.

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