Uns fällt es schwer, in langen Zeiträumen zu denken. Daher können wir uns nicht vorstellen, dass der Vertrieb über die Ausschließlichkeit, über Makler und über Banken einmal seine dominante Stellung einbüßen könnte.
Es gibt einige außerhalb der Versicherungsbranche, die sich dieses Szenario herbeisehnen. Das können Verbraucherschützer sein oder auch überzeugte Vertreter der Digitalisierung von Geschäftsmodellen. Von den Vertriebs- und Marketingverantwortlichen der Versicherer werden die traditionellen Vertriebswege aber weiter als alternativlos angesehen.
Man muss gar nicht Partei nehmen für oder gegen den Status quo. Er wird so oder so in zehn Jahren nicht mehr der Realität entsprechen. Die Entwicklungen, die dazu führend werden, dass Versicherungen in nicht allzu ferner Zukunft anders gekauft und verkauft werden, sind heute absehbar und nicht mehr aufzuhalten.
Am zugänglichsten ist dabei die demographische Entwicklung mit zwei wichtigen Ausprägungen. Zum einen sind die heute aktiven Versicherungsvermittler im Schnitt Mitte 50. Der Branche fehlen funktionierende Konzepte, um junge Menschen an den Beruf heranzuführen. Das Image der Branche tut ein Übriges. Die Verfechter der persönlichen Beratung müssen sich mit dem Gedanken vertraut machen, dass diese zu einem knappen Gut werden wird.
Die andere Ausprägung betrifft das Kaufverhalten und die sogenannte Customer Journey, die sich kaum jemand anguckt. Offensichtlich ist lediglich das Ende dieser Journey. Es ist richtig, dass in den meisten Sparten der personengebundene Vertrieb immer noch der wichtigste Abschlusskanal ist.
Die Mär vom omnipotenten Vermittler, der den Kunden im Kegelverein anspricht, am Küchentisch berät und spätestens im Zweitgespräch zum Abschluss kommt, entspricht schon sehr lange nicht mehr der Realität. Bereits heute hat das Smartphone den Vermittler als wichtigste Informationsquelle abgelöst und spielt in der Customer Journey die Hauptrolle. In unserem Informationszeitalter verlässt sich fast niemand mehr auf nur eine Quelle. Selbst wenn der Anstoß zur Beschäftigung mit dem Versicherungskauf vom Vermittler kommt, erfolgen in der Folge viele Rechercheschritte, die der Kunde unternimmt, um Notwendigkeit und Vorteilhaftigkeit einer Produktempfehlung zu überprüfen.
Das ist übrigens nicht versicherungsspezifisch, sondern gilt genauso für den Erwerb anderer Produkte und Dienstleistungen. Der Unterschied ist allerdings, dass die meisten Branchen schon verstanden haben, dass das Retailgeschäft heute nach anderen Regeln abläuft. Der Durchschnittsdeutsche ist heute fast 60 Stunden pro Woche online und potenzielle Erstkunden für Versicherungen sogar noch länger. Es ist keine verwegene These, dass die Assekuranz ihre Marketingbudgets heute nicht entsprechend der Mediennutzung alloziert, um über ihre Produkte und Leistungen zu informieren.
Es gibt viele Gründe, warum solche Veränderungen im Informations- und Kaufverhalten in der Versicherungswirtschaft immer mit Verspätung ankommen. Demographisch lässt sich dies erklären, weil der Versicherungskonsum erst in einem späteren Lebensalter relevant wird, nämlich mit Eintritt in das Berufsleben. Zudem wirken die Produktkomplexität und vermeintlich geringe tägliche Relevanz für Verzögerungseffekte.
Das Gute daran ist, dass der Branche noch Zeit zur Anpassung bleibt und dass man als Versicherer immer noch Early Mover sein und sich mit überdurchschnittlichen Wachstumsraten dafür belohnen kann, wenn man jetzt den Hebel umlegt.
Datengetriebenes Marketing ist ein Buzz, der durch die InsurTech-Welle in unser Bewusstsein gespült wurde. Es gibt Branchen wie die Tabakindustrie, die fast übertrieben datengetrieben vorgehen und damit extrem erfolgreich sind. Und es gibt Branchen, deren Vertreter sich mehrheitlich auf Gefühl- und Wellenschlag verlassen und nach dem Gießkannenprinzip arbeiten.
Die Empfehlung für die Versicherungsbranche lautet auf jeden Fall, quantitativer zu arbeiten. Das klassische Versicherungsmarketing, das sich im Wesentlichen als Verkaufsförderer für die personengebundenen Vertriebe versteht, hat in dieser Form ausgedient. Data Scientists, UX Designer und Performance Marketeers werden gebraucht, die Daten zusammentragen und analysieren, um so Aussagen über Kaufabsichten, Kaufprozesse und Abschlusspräferenzem zu erheben. Natürlich ist dieses unterschiedlich für verschiedene Zielgruppen und Absicherungs- bzw. Vorsorgebereiche.
Gut betriebene Datenanalyse führt im Ergebnis immer zu einer besseren Allokation des Marketingbudgets. Sie zwingt zur Priorisierung, die heute bei den meisten Versicherern nicht stattfindet. Die Neuallokation des Marketingbudgets aufgrund analytischer Erkenntnisse wird unter anderem dazu führen, dass mehr Geld in Inhalte investiert wird, die dann über unterschiedliche Kanäle ausgespielt werden. Die sozialen Medien spielen als Abschlusskanal eine untergeordnete Rolle. Für die Interessenweckung, Information und Peer-to-Peer Beratung sind sie unverzichtbar.
Wissen über Kunden und deren Verhalten lässt sich am besten über spezifische Angebote monetarisieren. Auch hier kann man in Analogie zu anderen Branchen festhalten, dass der Gemischtwarenladen ausgedient hat. Eine intelligente Kombination unterschiedlicher Fachgeschäfte kann noch funktionieren, wenn sie nicht rein terrestrisch angelegt ist. Versicherer sollten sich mit modernen Mitteln zurück zu ihren Wurzeln begeben und sich auf die Zielgruppen, Regionen oder Produktbereiche besinnen, in denen sie das Geschäft besser verstehen als der Wettbewerb. Nicht in der Beliebigkeit, sondern in der Treffgenauigkeit liegt das Erfolgsrezept.
Jeder Onlineshopbetreiber reagiert mit seinem Angebot auf Trends und bedient verschiedene Zielgruppen. Selbstverständlich gibt es Aktionsprodukte und zeitlich befristete Sonderangebote. Alles Werkzeuge, die den meisten Versicherern nicht zur Verfügung stehen. Grund dafür ist in vielen Fällen, dass statische Produkte über Programmieraufwand in alten Bestandssystemen angelegt und nur mit hohem Aufwand verändert werden können. Nur wenige Versicherer haben heute IT-Plattformen, die die Funktionalität eines Onlineshops liefern. Dabei entspricht es dem Stand der Technik, Verkaufsprodukte in Minuten konfigurieren und über automatisch generierte Antragsstrecken, die automatisch Trackinginformationen liefern, verkaufen zu können.
Versicherer sollten sich mit modernen Mitteln zurück zu ihren Wurzeln begeben und sich auf die Zielgruppen, Regionen oder Produktbereiche besinnen, in denen sie das Geschäft besser verstehen als der Wettbewerb. Nicht in der Beliebigkeit sondern in der Treffgenauigkeit liegt das Erfolgsrezept
eCommerce ist auch in der Versicherungsbranche möglich, wenn moderne Werkzeuge eingesetzt werden, Budgets in Analogie zu Provisionen erfolgsabhängig alloziert werden können und keine falsch verstandene Rücksicht auf die Befindlichkeiten personengebundener Vertriebswege genommen wird. Kunden, die persönliche Beratung schätzen, werden immer den Weg zum Vermittler finden. Das gilt speziell auch für jüngere Zielgruppen, die nachweislich beratungsaffin sind, wenn das Setting stimmt. Allerdings wollen Kunden ihre Informations-, Vertriebs- und Servicekanäle autonom und häufig situationsspezifisch wählen. Entgegen der von Versicherern geübten Praxis rangiert zum Beispiel die Briefpost ganz unten in der Präferenz der Kunden und könnte als Kanal auch komplett wegfallen und durch effiziente digitale Kanäle ersetzt werden.
Es ist tatsächlich nicht zu verstehen, dass die Assekuranz in weiten Teilen die Abwicklung von Standardgeschäftsvorfällen auf digitalem Weg (und damit ist nicht Email gemeint) bis heute verweigert. Während Energieversorger und die Telekommunikationsbranche längst mit Kundenportalen arbeitet, über die auch Vertragsänderungen End-to-End abgewickelt werden können, bezweifeln viele Versicherer noch immer deren Nutzen. Auch hier gibt es inzwischen Produktlösungen, die eine hohe Konfigurierbarkeit bieten und Kundenakzeptanz über eine exzellente User Experience sicherstellen. Bei einer tiefen Integration in die Bestandsysteme können auch komplexe Vertragsänderungen und die Schadenbearbeitung in hohem Maße automatisiert und im Self-service bereit gestellt werden.
Aktuell spielt sich der Wettbewerb in der Versicherungswirtschaft noch auf Spartenebene ab. Dabei gibt es erhebliche Unterschiede zwischen Kfz, Hausrat oder Rechtsschutz. Mit der zurückgehenden Bedeutung personengebundener Vertriebe und fortschreitender Technologie besteht die große Chance zur Überwindung der Spartentrennung, die kein Kunde versteht. So wie in der Telekommunikationsbranche heute Flatrate-Angebote verkauft werden, kann auch die Versicherungswirtschaft zukünftig Absicherungspakete anbieten, die sich konfigurativ an veränderte Lebensumstände anpassen lassen. Auf diese Weise können Kundenbedürfnisse besser und einfacher befriedigt werden. Als Komponenten von Absicherungspaketen bieten sich neben Kompositprodukten auch bestimmte Biometrieprodukte und Krankenzusatzversicherungen an.
Würde Amazon tatsächlich in den Versicherungsmarkt einsteigen, würde dies mit hoher Wahrscheinlichkeit über Prime-Pakete erfolgen, die im Sinne einer all-risk Deckung die Risiken eines Haushalts absichern. Kommen neue Risiken hinzu, würde Amazon diese entweder automatisch zum Beispiel am Einkaufsverhalten erkennen oder den Kunden eine Frist zur Nachmeldung geänderter Umstände einräumen. Es gibt im Markt durchaus Ansätze für solche Produkte, die einen hohen Kundennutzen haben. Aufgrund der schlechten technischen Umsetzung und eines meist auf die Ausschließlichkeit zugeschnittenen Vertriebsansatzes fristen sie aber noch ein Schattendasein.
Auch komplexere Produktentscheidungen im Bereich Vorsorge müssen zukünftig angesichts der sich abzeichnenden „Beraterlücke“ ohne personengebundenen Vertrieb denkbar sein. Robo-Advisor, die Kunden auf Basis von Algorithmen zum geeigneten Produkt führen, liefern im Zweifelsfall objektivere und bessere Lösungen als Berater, die angesichts der Komplexität und Angebotsvielfalt dabei überfordert sind, das individuell beste Vorsorgekonzept und das hierfür am besten geeignete Produkt auszuwählen.
Strategieberater, IT-Dienstleister und vor allem InsurTechs beklagen zurecht die Trägheit der Branche. Die digitale Transformation der Etablierten vollzieht sich langsam und die Neueinsteiger erleiden häufig medienwirksam Schiffbruch. Die digitale Atempause für die Versicherungswirtschaft ist lang. Doch sie wird zu Ende gehen und die Manager in den Vorständen wissen dies nur allzu genau. Jetzt müssen vor allem die Weichen in der IT gestellt werden, denn nur mit einer guten Kostenposition und exzellenter User Experience sind Neugeschäft und langfristiges Überleben möglich. Vielfach kommen die Widerstände gegen Veränderungen aus der versicherereigenen IT. Ausgangspunkt und Fazit dieses Artikels liegen daher eng beieinander. Versicherer werden in Zukunft auch in der IT nicht mehr die Talente gewinnen und binden können, die sie für Eigenentwicklungen und Eigenbetrieb benötigen. Wie viele eCommerce-Anbieter außerhalb der Versicherungswirtschaft bauen wohl ihre Shop-Software selbst? Gefragt sind jetzt erfahrene Digitalmanager, die in der Lage sind, auf Basis innovativer Kauftechnologien eine moderne IT-Plattform zu bauen, die hoch automatisiert verkauft, verwaltet und Schäden reguliert. Die Kunden werden vielleicht für persönliche Beratung zukünftig bezahlen müssen, den Grundschutz werden sie aber kosteneffizient und barrierefrei bekommen. Dabei wird es bezogen auf das Kundenerlebnis dann keinen großen Unterschied ausmachen, ob sie direkt beim Versicherer, bei Onlinemaklern oder bei Amazon & Co. kaufen.
„Die digitale Atempause für die Versicherungswirtschaft ist lang. Doch sie wird zu Ende gehen
Dieser Artikel ist auch als Gastbeitrag in der Zeitschrift für Versicherungswesen erschienen.
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